Die Eliten Deutschlands: Ein Jahrhundert der Kontinuität hinter der Fassade des Wandels
- Von Xhulia Likaj
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Trotz Revolutionen, Weltkriegen und Systemwechseln ist eine Konstante in der Geschichte der deutschen Eliten auffällig: ihre soziale Herkunft. Eine neue Studie des Soziologen Michael Hartmann, veröffentlicht im Berliner Journal für Soziologie, zeigt, dass die obersten Ränge in Politik, Wirtschaft, Justiz und Verwaltung seit über 150 Jahren von Personen aus privilegierten Verhältnissen dominiert werden.
Hartmanns Untersuchung, die auf den Biografien von fast 2.400 Elitemitgliedern vom Kaiserreich bis in die Gegenwart basiert, zeichnet ein ernüchterndes Bild sozialer Immobilität. Zwar verlor der Adel nach dem Ersten Weltkrieg seine politische Vormachtstellung, doch an seine Stelle traten nicht etwa Vertreter der Arbeiterklasse, sondern das Bürgertum und das Großbürgertum – Gruppen, die seither ihre Dominanz weiter ausgebaut haben.
Besonders deutlich wird dies im wirtschaftlichen Bereich: Der Anteil von Spitzenmanagern mit Herkunft aus der Arbeiter- oder unteren Mittelschicht ist seit 1907 nur minimal gestiegen – von 14,1 % auf lediglich 19,1 % im Jahr 2020. In Justiz und Verwaltung zeigt sich ein ähnliches Bild: Führungspositionen bleiben für Menschen ohne privilegierte Herkunft weitgehend unzugänglich.
Die Politik, oft als durchlässiger angesehen, liefert ein gemischtes Bild. Während der Weimarer Republik und in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik gelangten auffallend viele Minister aus einfachen Verhältnissen in Spitzenämter. Doch seit der Jahrtausendwende hat sich dieser Trend umgekehrt: Heute stammen Kabinettsmitglieder wieder überwiegend aus bürgerlichen Haushalten, während die Repräsentation der Arbeiterklasse rückläufig ist.
Hartmann betont, dass diese Muster kein Zufall sind. „Herkunft schlägt Leistung“ – so lautet die unausgesprochene Regel. Auch wenn sich Eliten zunehmend als „Selfmade“-Persönlichkeiten inszenieren, sprechen die Daten eine andere Sprache. Die Illusion der Leistungsgesellschaft, so Hartmann, verdeckt ein tief verankertes System sozialer Privilegien. Wie die Studie zeigt, war echter Wandel in der Zusammensetzung der Eliten die Ausnahme – nicht die Regel.
