Warum politische Parteien wirtschaftliche Ungleichheit nicht bekämpfen
- Von Xhulia Likaj
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Trotz jahrzehntelanger wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit in fortgeschrittenen Demokratien haben politische Parteien bislang kaum mit wirksamen Maßnahmen reagiert. Eine neue Studie in der American Political Science Review beleuchtet diesen Trend und zeigt: Parteien reagieren auf steigende Ungleichheit – nicht aber auf bereits bestehend hohe Ungleichheitsniveaus.
Die Forscher Alexander Horn, Martin Haselmayer und K. Jonathan Klüser analysierten über 850.000 Parteiaussagen aus 12 OECD-Ländern zwischen 1970 und 2020. Mithilfe eines neuartigen, durch Crowd-Coding erstellten Datensatzes unterscheiden sie zwischen wirtschaftlichen Gleichheitsforderungen und allgemeiner Rhetorik zu Gleichberechtigung und Antidiskriminierung – Aspekte, die in früheren Studien oft vermischt wurden. Ihre Daten zeigen: Wirtschaftlicher Egalitarismus nahm von den 1980er Jahren bis 2000 ab, stieg danach wieder an, während die Rhetorik zu Gleichberechtigung kontinuierlich zunahm.
Zentrale Erkenntnis: Linke Parteien betonen wirtschaftliche Gleichheit verstärkt, wenn die Ungleichheit sichtbar zunimmt – insbesondere wenn der Einkommensanteil der unteren Hälfte der Bevölkerung sinkt. Ist die Ungleichheit jedoch bereits verfestigt, neigen diese Parteien dazu, Umverteilungsmaßnahmen weniger stark zu betonen. Rechte Parteien reagieren hingegen kaum – unabhängig von der Entwicklung der Ungleichheit.
Die Autoren identifizieren drei Hauptgründe für dieses Muster. Erstens: Medienberichterstattung fokussiert eher auf Veränderungen als auf bestehende Ungleichheiten, was die öffentliche Wahrnehmung einschränkt. Zweitens: Hohe Ungleichheit senkt die Wahlbeteiligung einkommensschwacher Gruppen – zentrale Wählergruppen linker Parteien – und reduziert somit deren Anreize zur Umverteilung. Drittens: Kognitive Verzerrungen wie Systemrechtfertigung und meritokratische Überzeugungen führen dazu, dass bestehende Ungleichheiten als gerecht oder unvermeidlich akzeptiert werden.
Besonders alarmierend ist das politische Schweigen gegenüber dem obersten 1 % der Einkommensbezieher. Trotz ihres wachsenden Anteils am Gesamteinkommen reagiert keine große Partei – weder links noch rechts – auf diesen Trend. Die Autoren vermuten, dass dies mit der Unsichtbarkeit von Kapitaleinkommen, dem Einfluss von Eliten auf die Politik oder der Verschiebung linker Prioritäten hin zu wohlhabenderen, gebildeten Wählergruppen zusammenhängt.
Die Studie kommt zu dem Schluss: Ungleichheit korrigiert sich in demokratischen Systemen nicht von selbst. Stattdessen folgt sie einem „Ratchet-Effekt“: Parteien stemmen sich gegen wachsende Ungleichheit, doch sobald sie verfestigt ist, schwinden die politischen Anreize zur Gegensteuerung.
