Mindestlohn: Deutliche Anhebungen in den meisten EU-Ländern – Deutschland abgeschlagen

  • Von Sonja Hennen
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Die gesetzlichen Mindestlöhne in den meisten EU-Ländern wurden zum Jahreswechsel deutlich erhöht. Deutschland hinkt dabei deutlich hinterher. Laut dem WSI-Mindestlohnbericht 2024 stiegen die Mindestlöhne in den 22 EU-Staaten mit einem allgemeinen Mindestlohn aufgrund hoher Inflationsraten im Median um 9,7 Prozent. Besonders starke nominale Zuwächse waren in vielen osteuropäischen Ländern zu verzeichnen, aber auch Irland (+12,4%) und die Niederlande (+12,9%) erhöhten ihren Mindestlohn erheblich. Im Gegensatz dazu fiel die Anhebung in Deutschland mit einem nominalen Plus von lediglich 3,4 Prozent auf nun 12,41 Euro deutlich geringer aus. Nur in Belgien stieg der Mindestlohn noch langsamer (+2,0%).

Die Dynamik der Mindestlöhne wurde auch durch die im Herbst 2022 verabschiedete Europäische Mindestlohnrichtlinie begünstigt. Viele Mitgliedsländer streben danach, die in der Richtlinie festgelegten Referenzwerte von 60 Prozent des Medianlohns bzw. 50 Prozent des Durchschnittslohns zu erreichen. Derzeit haben nur Portugal, Slowenien und Frankreich diese Schwelle erreicht.

Deutschland liegt aufgrund der geringfügigen Anhebung des Mindestlohns und der allgemeinen Entwicklung des Lohnniveaus deutlich unter dieser Zielmarke. Bereits 2023 wäre ein Mindestlohn von 13,61 Euro erforderlich gewesen, um das 60-Prozent-Kriterium zu erfüllen, und im laufenden Jahr wären rund 14 Euro notwendig, so Berechnungen auf Basis aktueller Eurostat-Daten. Bei ihrer letzten Entscheidung hat die deutsche Mindestlohnkommission die Vorgaben der Europäischen Mindestlohnrichtlinie außer Acht gelassen und angekündigt, auch in Zukunft nur die im Mindestlohngesetz explizit genannten Kriterien zu berücksichtigen.

Die jüngsten Anhebungen der Mindestlöhne relativieren sich, wenn die gestiegenen Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Der WSI-Mindestlohnbericht verwendet die jahresbezogene Inflationsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) als Maßstab. Real stiegen die Mindestlöhne in 14 EU-Ländern gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt um 1 Prozent oder mehr, in sieben davon sogar um mindestens 5 Prozent. Im EU-Durchschnitt lag der Kaufkraftgewinn des Mindestlohns bei 2,5 Prozent. Deutschland gehört zu einer kleinen Gruppe von Ländern, in denen der Mindestlohn real um 1 Prozent oder mehr gesunken ist.

Kein gesetzlicher Mindestlohn existiert in Österreich, den nordischen Ländern und Italien. In diesen Staaten besteht aber eine sehr hohe Tarifbindung, die auch vom Staat stark unterstützt wird. Faktisch ziehen dort also Tarifverträge eine allgemeine Untergrenze. Gemäß der EU-Richtlinie müssen Staaten, in denen weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmer Tarifverträge haben, Aktionspläne zur Stärkung der Tarifbindung vorlegen. Dies betrifft auch Deutschland, wo nur etwa die Hälfte der Beschäftigten tarifgebunden ist.

In den meisten Ländern dienen gesetzliche Mindestlöhne als zentrale Institution zur Regelung des Arbeitsmarktes. Angemessene Mindestlöhne stabilisieren die Einkommen am untersten Rand der Einkommensverteilung und schützen damit vor allem Beschäftigtengruppen mit geringer Verhandlungsmacht. Sie gelten deshalb als ein Baustein, um die Spreizung der Einkommen und damit die Ungleichheit zu verringern.

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